MARIONETTENSPIEL
Marionettenspiel, dein lustiges Theater zieht sie in den Bann, und sie kann ihre Augen nicht mehr von dir lassen. Deine Figuren aus Holz tanzen und bewegen sich unbeschwert auf der Bühne, jemand steuert die Fäden, an denen du festgehalten wirst. Diese bunten Kleider, die vor ihren Augen schillern, hat bestimmt jemand für dich genäht und stehen dir nahezu perfekt. So viel Können auf so engem Raum, dass überwältigt auch die großartigsten Meister dieser Welt. Auch die Kinder lachen und schreien bei deinem schönen und farbenreichen Spektakel und folgen gespannt deiner Geschichte, die viele Höhepunkte bietet.
Da gibt es den Harlekin
mit seinem farbenfrohen Kostüm mit Rautenmuster. Er stammt ursprünglich aus
Bergamo und ist ein kluger und geistreicher Diener. Er liebt gutes Essen und am
liebsten mag er Pasta. Da gesellt sich Colombina zu ihm, seine treue
Begleiterin. Sie ist anmutig und klug und trägt eine Maske, die ihr Gesicht
bedeckt und ein blau-rotes Kostüm. Pantalone, ein alter venezianischer Kaufman,
nähert sich ihnen am Tisch. Mit seinem roten Kleid und schwarzen Umhang möchte
er einen Spiegel aus goldenem Rahmen verkaufen, der Zauberkräfte besitzt. Seine
Redekunst überzeugt Colombina, die den Spiegel in die Hand nimmt und von allen
Seiten betrachtet. Der Kaufmann bemerkt ihr Interesse und versucht sie mit
seiner List zu überzeugen, dass der Spiegel nur auf ihre Eroberung gewartet
habe.
„Betrachten sie ihre
Schönheit in diesem Spiegel, hübsches Fräulein, ihr Blick wird sich sofort in
Magie verwandeln und ihrem besonderen Charme wird niemand mehr widerstehen können.
Zahlen sie 1000 Lire und der Spiegel gehört ihnen!“, sagt er enthusiastisch.
„Was meinst du,
Harlekin? Kann ich ihn kaufen?“, fragt sie ihren Geliebten, der seine Spaghetti
gerade aufgegessen hat.
„Lass mich mal sehen“,
antwortet er und nimmt ihr den Spiegel aus der Hand.
Als er sein Bild
betrachtet, kommt er sich wie ein faszinierender und lebhafter Mann vor, als
wäre er ein anderer Mensch, mutiger und unwiderstehlicher.
In den Augen von Pantalone
zeichnet sich Gier ab, er reibt sich die Hände und sein betrügerisches Lächeln
verrät sein lüsternes Vorhaben.
„Haltet den Dieb an! Er
hat mir mein Spiegel gestohlen!“
Pulcinella
kommt in das neapolitanische Restaurant hereingerannt. Sein weisses Kostüm mit
weiten Ärmeln flattert in der Luft, seine schwarze Halbmaske und seine lange,
vogelartige Nase verdecken seine Wut. Sein spitziger, schwarzer Hut bewegt sich
hin und her wie ein schaukelndes Boot, das in tosende Wellen tobt. Er hat ein
schwarzer Knüppel in der Hand und fuchtelt damit wild um sich.
Pulcinella
und Pantalone fangen an zu streiten, jeder behauptet, dass der Spiegel ihnen
gehört. Sogar der Restaurantbesitzer versucht die beiden zu trennen, damit
wieder Ordnung herrscht, aber es gelingt ihm nicht. Pulcinella schlägt
Pantalone mit seinem Stock eins über den Schädel, sogar die Kinder müssen bei
dieser Szene lachen. In der Auseinandersetzung und im ganzen Chaos, das folgt, trifft
Pulcinella aus Versehen den Spiegel, der durch die Luft fliegt und kaputt geht.
Er fällt auf den Boden und zersplittert in tausend Scherben. Die Splitter strahlen
ein blendendes Licht aus, bei dem alle Marionetten ihre Augen mit den Händen
bedecken müssen. Medusa erscheint, das Ungeheuer mit Schlangenhaaren, deren Anblick
zu Stein erstarren lässt.
«Wer
hat es gewagt, meine Ruhe zu stören?», sagt er und dreht seinen Kopf um 360°.
Niemand
antwortet, aus Furcht, er könnte zu einem Felsen verwandelt werden.
Auch
die Leute, die das Puppenspiel gespannt folgen, werden von einer Flutwelle aus
Angst und Bange übergossen.
Der Harlekin überlegt unaufhörlich, wie er sich und seine Colombina aus der Situation retten kann. Dann kommt ihm eine Idee und zögert keine Minute länger, um sie in die Tat umzusetzen. Als die Medusa gerade den Kopf von ihm wegdreht, liest er zwei grössere Scherben vom Boden auf und geht auf sie zu. Als er sie vor sich hat, von Angesicht zu Angesicht, schiebt er mit voller Kraft die scharfen Splitter in ihre lichtdurchfluteten Augen. Die Medusa schreit vor Schmerzen auf und zersprengt mit voller Wucht in tausend Stücke. Doch gerade als Harlekin glaubt, sie besiegt zu haben, verwandelt er sich in Gestein. Colombina rennt zu ihm und versucht, ihn wieder zum Leben zu erwecken, doch ohne Erfolg. Sie bricht vor seinen Füßen zusammen und beginnt zu weinen. Ihre salzigen Tränen tropfen auf die Steinstatue und brechen den hässlichen Zauber, unter dem sein Geliebter liegt, der sich langsam auflöst und wieder Mensch wird. Harlekin zieht seine Auserwählte zu sich hoch und küsst sie vor allen Anwesenden. Sogar Pulcinella und Pantalone klatschen in die Hände und umarmen sich, sie sind froh, dass alles gut ausgegangen ist.
Marionettenspiel, warst
du Traum oder Wirklichkeit? Vielleicht beides. Denn in der Wirklichkeit bist du
ein Traum und im Traum die Wirklichkeit. Einfach unverzichtbar.
Sie lächelt vor deinem
Schauspiel. Ihr Leben war geprägt von vielen Abenteuern, und eins davon warst
du. Du hast sie entführt in einer anderen Welt, und auch beim Sonnenuntergang
ist es schön an dich zu denken und an deinem bunten Gewand. Du warst prickelnd
wie Champagner und frisch wie die Morgenbrise. Du warst gnädig und ein
mitfühlendes Wesen, das neue Hoffnung schenkt. Niemals wird sie dich vergessen,
niemals wird sie dich aufgeben. Du warst für sie wie ein frischer Windhauch,
wie ein Lichtblick, dass einem Türe und Tore öffnet. Lebendig, grausam und töricht
zugleich.
Und wenn es dich nicht
gäbe, dann müsste sie dich erfinden. So leuchte weiter, unterhalte deine Gäste
und erfinde deinen Leben immer wieder neu. Denn nichts ist tödlicher, als die
Eintönigkeit des Lebens. R.R.

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